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Die Leere von dem, was nicht ist
Es war ziemlich kalt an diesem Tag, aber ich zog es vor, draußen zu sitzen. „Ich liebe frische Luft“, sagte ich, während ich meinen Espresso trank, schwarz, stark, mit etwas Zucker. Ich schmunzelte. Da war diese Szene einer längst vergangenen Erinnerung: „Wie trinkst Du Deinen Kaffee?“ „Schwarz und süß, genauso wie ich.“ „Ok, das kann ich mir merken.“ Und die Szene verblasste.
Am Anfang ist da immer dieses unglaublich coole Lebensgefühl voller Möglichkeiten. Häufig nehmen wir das nicht ernst genug. Manchmal werden daraus Orte des Lebens, an dem Menschen zusammenfinden. Es mangelt dabei nicht an Ideen, die Welt zu gestalten, wenn wir uns für einen Menschen entschieden haben. Einfach weil es leicht ist, ins Ungewisse zu starten, wenn ich weiß, dass da selbst dann jemand sein wird, wenn ich mich verirre oder es einmal nicht weitergeht am Ende einer Etappe.
Die Kälte kroch allmählich durch meine Jacke, aber die Wärme des Espressos und der Erinnerungen hielten mich fest in ihrem Bann. Ein Spatz landete auf dem Rand des Tisches und pickte neugierig an den Krümeln eines übrig gebliebenen Croissants. Ich lächelte gedankenverloren und warf ihm einen kleinen Krümel zu.
In meinen Gedanken sah ich ihn, den Txori, was auf Baskisch „kleiner Vogel“ bedeutet, dessen Legende mir auf dem Jakobsweg begegnet war. Lange her. Zu lange. Es wäre mal wieder an der Zeit, einfach loszugehen. Einfach weg. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen es oft total sinnvoll erscheint Eulen nach Athen zu tragen – aus so vielen Gründen.

Und irgendwie kann ich es deutlich sehen, wie der Txori mit seinen Flügeln die Spinnweben der Marienstatue auf der Brücke von Puente la Reina entfernt. Wie er Wasser aus dem Fluss Arga holt, um das Gesicht der Statue zu waschen. Diese liebevolle und hingebungsvolle Handlung des Vogels. Dieses Wunder, dieses Symbol der Reinheit und der selbstlosen Liebe. Es ist eine schöne Erinnerung daran, dass Liebe und Hingabe in den kleinsten und unerwartetsten Formen erscheinen können. Und dennoch: Was bedeutet es, das menschliche Leben zu erforschen, in der Falle, zu der die Welt für mich geworden ist. Was bedeutet das alles, wenn das Basislager für diese Expedition fehlt? Wenn Du fehlst?
Ein plötzlicher Windstoß brachte mir den Duft von frischen Blumen und frischgebackenem Brot, und ich ließ meine Gedanken erneut abschweifen. Die Straße war belebt, Menschen eilten vorbei, eingehüllt in ihre eigenen Welten, doch ich fühlte mich seltsam abgekoppelt, als ob ich in einer Zeitblase gefangen wäre.
Da war es wieder, dieses Flüstern, das so viel Hoffnung für mich bedeutet hat: „Gib mir die Chance, Dir zu zeigen, wie ich Dich sehe. Du hast mich eingeladen und ich habe diese Chance nur allzu gern genutzt, mit Dir zusammen eine ganz andere Welt kennenzulernen. Dafür kann ich Dir nie genug danken. Und bei dieser Wanderung mit Dir konnte ich spüren, dass Du meine Heimat bist. Kann ich mehr erwarten? Ich nehme Dich gerne mit in meine Welt – in eine Welt mit Dir.“
Der Spatz, satt und zufrieden, schaute sich neugierig um und flog davon. Seine Flügel schlugen leicht im Rhythmus des Windes, während er in den grauen Himmel aufstieg. Ich verfolgte seinen Flug mit meinen Augen, bis er schließlich außer Sichtweite war.
Ich saß da, mit den Gedanken an Dich und fühlte mich alleine. Da ist Sonne, irgendwie Wärme, Licht und ich versuche das alles wirklich in mich aufzunehmen. Und dennoch reißen die Gedanken nicht ab. Daran, dass nun andere diese Sonne mit Dir genießen dürfen, während ich innerlich erfriere und dem Licht schutzlos ausgeliefert bin, das in mich dringt. Und dann ist da diese Lücke, dieser unendliche Raum, voll möbliert und für Dich eingerichtet, in dem sich mein Blick verliert. In den ich all meine Liebe gesteckt habe und der wohl für immer ungenutzt bleiben wird. Ein Raum für unsere Liebe. Raum zur Entfaltung, für so viel Phantasie, Lachen, Freude, so viele Möglichkeiten. Und dann schließe ich die Tür hinter mir und weine, weil all die Träume, die ich damit verbinde, nie sein werden. Der Raum wird das Kind nie sehen, für das er gemacht wurde – und mir bleibt die Leere von all dem, was nicht ist.
Da saß ich, verloren in meinen Gedanken und Erinnerungen, als ich eine vertraute Stimme hörte: „Entschuldigung, ist dieser Platz noch frei?“ Ich blickte auf und sah in ein Paar warmherzige Augen, die mich sofort zurück in die Gegenwart holten. „Natürlich, setzen Sie sich.“
Und so begann ein neues Kapitel meiner Geschichte, mitten in der Kälte und in der Lebendigkeit eines winterlichen Tages.
Ich bin jetzt raus. Bleibt tapfer – und inspiriert!
Grüßle, Euer Andreas
